Projekt ‚Ostland’

Prof. Dr. Robert Bohn, Prof. Dr. Uwe Danker, Dr. Sebastian Lehmann

Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion wurde aus den eroberten baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland sowie Teilen Weißrußlands das sogenannte Reichskommissariat Ostland gebildet und im Juli 1941 Schleswig-Holsteins Gauleiter und Oberpräsident Hinrich Lohse als Reichskommissar mit Sitz in Riga Chef der dortigen deutschen Zivilverwaltung. Er nahm zahlreiche NS-Funktionäre sowie Verwaltungs- und Polizeikräfte aus seinem ‚Heimatgau‘ mit ins ‚Ostland’, das solchermaßen Teil der schleswig-holsteinischen Geschichte wurde. Die materiellen und menschlichen Ressourcen des ‚Ostlandes’ sollten der deutschen Kriegführung dienlich gemacht werden.

Der ‚Lebensraumkrieg‘ sah zudem immense ‚Umvolkungen‘ vor, und schließlich bildete das Reichskommissariat eine Kernregion der Ermordung der europäischen Juden. Allein bis Januar 1942 wurden hier insgesamt 330.000 einheimische und deportierte Juden, darunter auch mindestens 170 schleswig-holsteinische, erschossen. Der Judenmord fand quasi öffentlich statt, die Zivilverwalter organisierten und verwalteten ihn maßgeblich mit. Zur Rechenschaft gezogen wurde von den an dem Mordgeschehen beteiligten Verwaltungs- und Polizeibeamten keiner, dem es gelang, im Herbst 1944 nach Schleswig-Holstein zurückzukommen.

Ausgehend von der Entlarvung der nach 1945 aufgebauten Legende von der „sauberen Zivilverwaltung“ und unter Zugrundelegung einer besonderen schleswig-holsteinischen Perspektive steht im Mittelpunkt dieses Projekts die Erforschung der konkreten Tätigkeit der deutschen Zivilverwaltung bis hinunter zur lokalen Ebene bei der Ausbeutung des Landes und der Durchführung der vom nationalsozialistischen Rassenwahn geleiteten Verbrechen an der Zivilbevölkerung. Es soll deutlich werden, welche Rolle die Zivilverwaltung in dem Machtlabyrinth spielte, das sich im Ostland durch die Partikularinteressen der beteiligten Berliner Ministerien, der Wirtschaftsdienststellen, der SS und der Wehrmacht herausbildete. Das vielschichtige Problemfeld Kollaboration bildet einen weiteren Schwerpunkt des Projekts.